Aus „Empört euch!“ von Stephane Hessel, einem 93-jährigen deutsch-französischen Resistance – Kämpfer und ehemaligen Buchenwald – Häftling „Wir alle sind aufgerufen, unsere Gesellschaft so zu bewahren, dass wir stolz auf sie sein können: nicht diese Gesellschaft der in die Illegalität Gedrängten, des Misstrauens gegen Zuwanderer, in der Sicherung des Alters, die Leistungen der Sozialversicherung brüchig geworden sind, in der die Reichen die Medien beherrschen – nichts davon hätten wir zugelassen, wenn wir uns dem Vermächtnis des nationalen Widerstandes wirklich verpflichtet gefühlt hätten.
1945, als das grauenhafte Drama beendet war, setzten die im Nationalen Widerstand vereinigten Kräfte eine Erneuerung ohnegleichen ins Werk. Damals wurde das System der sozialen Sicherheit geschaffen, wie es die Resistanz in ihrem Programm vorgestellt hatte: „Ein vollständiger Plan sozialer Sicherheit mit dem Ziel, allen Bürgern, denen dies nicht durch eigene Arbeit möglich ist, die Existenzgrundlage zu gewährleisten, einen Ruhestand, der den Arbeitnehmern ein Alter in Würde gestattet“. Die Energieversorgung, Strom und Gas, der Kohlebergbau, die Großbanken sollten verstaatlicht werden. In diesem Sinne forderte das Programm die Rückgabe der großen monopolisierten Produktionsmittel, der Früchte gemeinsamer Arbeit, der Energiequellen, der Bodenschätze, der Versicherungsgesellschaften und der Großbanken an die Nation, die Errichtung einer echten wirtschaftlichen und sozialen Demokratie unter Ausschaltung des Einflusses der großen im Wirtschafts- und Finanzbereich bestehenden privaten Erbschaftsdomänen auf die Gestaltung der Wirtschaft. Das Gemeinwohl sollte über dem Interesse des Einzelnen stehen, die gerechte Verteilung des in der Arbeitswelt geschaffenen Wohlstandes über der Macht des Geldes. Eine rationelle Wirtschaftsverfassung, in der die Individualinteressen dem Allgemeininteresse untergeordnet sind, ohne Diktatur der Sachzwänge nach dem Vorbild faschistischer Staaten - dies als Auftrag an die provisorische Regierung der Republik.
Eine echte Demokratie braucht eine unabhängige Presse. Die Resistanz wusste es, forderte sie, trat ein für „die Freiheit der Presse, ihre Ehre und ihre Unabhängigkeit gegenüber dem Staat, der Macht des Geldes und den Einflüssen aus dem Ausland. Das wurde bereits 1944 in den Presseverordnungen umgesetzt. Und genau dies ist heute in Frage gestellt.
Die Resistanz forderte, dass alle französischen Kinder die effektive Möglichkeit haben sollen, die bestmögliche Erziehung zu haben, ohne Diskriminierung. Die 2008 vorgeschlagenen Reformen sind nicht damit ein Einklang zu bringen. Jungen Lehrerinnen und Lehrer, die sich –was ich unterstütze –weigerten, diese Reformen umzusetzen, wurden zur Strafe die Gehälter gekürzt. Sie haben sich aufgelehnt, den Gehorsam zu verweigern, weil sie diese Reformen nicht im Einklang mit dem Ideal der republikanischen Schule sahen, die zu sehr einer Gesellschaft des Geldes dient und nicht genügend Raum für Kreativität und kritisches Denken gibt. Dieses gesamte Fundament der sozialen Errungenschaften der Resistanz ist heute in Frage gestellt.
Man wagt uns zu sagen, der Staat könne die Kosten dieser sozialen Errungenschaften nicht mehr tragen. Aber wie kann heute das Geld fehlen, da doch der Wohlstand so viel größer ist als zur Zeit der Befreiung, als Europa in Trümmern lag? Doch nur deshalb, weil die Macht des Geldes – die so sehr von der Resistanz bekämpft wurde – niemals so groß, so anmaßend, so egoistisch war wie heute, mit Lobbyisten bis in die höchsten Ränge des Staates. In vielen Schaltstellen der wieder privatisierten Geldinstitute sitzen Bonibanker und Gewinnmaximierer, die sich keinen Deut ums Gemeinwohl scheren. Noch nie war der Abstand zwischen den Ärmsten und den Reichsten so groß. Noch nie war der Tanz um das goldene Kalb – Geld, Konkurrenz – so entfesselt.
Das Grundmotiv der Resistanz war die Empörung. Wir, die Veteranen der Widerstandsbewegungen und der Kampfgruppen des Freien Frankreich, rufen die Jugend auf, das geistige und moralische Erbe der Resistanz, ihre Ideale mit neuem Leben zu erfüllen und weiterzugeben. Mischt euch ein, empört euch! Die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft, die Intellektuellen, die ganze Gesellschaft dürfen sich nicht kleinmachen lassen von der internationalen Diktatur der Finanzmärkte, die es so weit gebracht hat, Frieden und Demokratie zu gefährden.
Ich wünsche allen, jedem Einzelnen von euch einen Grund zur Empörung. Das ist kostbar. Wenn man sich über etwas empört, wie mich der Naziwahn empört hat, wird man aktiv, stark und engagiert. Man verbindet sich mit dem Strom der Geschichte, und der große Strom der Geschichte nimmt seinen Lauf dank dem Engagement der vielen – zu mehr Gerechtigkeit und Freiheit, wenn auch nicht zur schrankenlosen Freiheit des Fuchses im Hühnerstall. Die in der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ (zutreffender „Universellen Erklärung der Menschenrechte“) von 1948 niedergelegten Rechte, sind universell. Wann immer sie jemandem vorenthalten werden, und ihr merkt es: Nehmt Anteil, helft ihm, in den Schutz dieser Rechte zu gelangen!“
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