Der Zukunftsforscher Matthias Horx kommt in seinem „Buch des Wandels – Wie Menschen Zukunft gestalten“ zu dem Ergebnis (siehe seine „Lebenskarte“), dass das Schicksal jedes Menschen durch eine gute Kindheit, eine gute, fördernde Schule, außerfamiliäre Unterstützung, der Ausbildung seines persönlichen Talents und seinen Lebensbeziehungen zu stützenden Freunden und Institutionen abhängt. Klinge das nicht überzeugend?
Und dennoch hat er, aus welchem Grund auch immer, das Allerwesentlichste ausgeklammert: die gesellschaftlichen Verhältnisse, von denen wesentlich unser Schicksal bestimmt wird.
Schon Goethe kam in hohem Alter zu der Erkenntnis: „Die Politik ist unser Schicksal“. Er hatte erkannt, dass auch sein Leben maßgeblich von den politischen Verhältnissen seiner Zeit beeinflusst und eingeschränkt wurde. Viele seiner guten, vernünftigen Absichten als Minister am Weimarer Hof konnte er nicht durchsetzen, was sicher auch ein Grund für seine Flucht nach Italien war. Als junger Minister wurde er z. B. „moralisch“ gezwungen, das Todesurteil für eine angebliche Kindesmörderin zu befürworten, was zeitlebens sein humanes Gewissen belastete, was auch im Faust in der Gestalt Gretchen seinen literarischen Niederschlag fand.
Als ich letzthin auf Anregung meiner Tochter eine Art Familienchronik schrieb, dabei auch mein über achtzigjähriges Leben überdachte, wurde mir bewusst, wie das Leben aller Familienmitglieder unwillentlich durch die politischen Verhältnisse geprägt wurden. Obwohl ich nie boshaft in meinem Leben gewesen bin, habe ich viele unverzeihliche Dummheiten begangen, die letztlich in den gesellschaftlichen Verhältnissen meiner Zeit ihre Ursache hatten, aber auch in der kaiserlich-untertänigen militaristischen Erziehung meiner Großeltern und Eltern. Mein eigenes Leben wurde geprägt durch die Wirtschaftskrise, Faschismus und Krieg, Gefangenschaft, die Zeit des Stalinismus und der DDR, der Wende und der folgenden kapitalistischen Konterrevolution.
Deshalb formulierte Karl Marx als Hauptaufgabe, um den Menschen von seiner Selbstentfremdung zu befreien, das humanistische Ziel, „alle Gesellschaftlichen Verhältnisse umzuwerfen, unter denen der Mensch ein unterdrücktes, gedemütigtes Wesen ist. Und unser großer Philosoph Ph. E. Kant forderte in seiner Aufklärungsschrift: “Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen, um dich aus deiner selbstverschuldeten Unmündigkeit zu befreien. Wieso unmündig? Weil wir uns von gewissen „Herren“ da oben verführen lassen, uns zu deren Sklaven erniedrigen.“ Sei niemandes Herr und niemandes Knecht!“ forderte Paracelsus, und der ehemalige Professor der Humboldtuniversität Heinrich Fink stellt bereits 1990 fest. „Wir dürfen die Politik nicht denen da oben überlassen!“ Unpolitisch Volk ist Sklavenvolk. Und solange das Volk nicht auf unsere größten Vordenker hört und von einer kleinen Minderheit Privilegierter wie eine naive, willenlose Hammelherde an der Nase herumführen, einpferchen, scheren, melken, geistig kastrieren lässt, kann die große Mehrheit der Menschen nicht Schmied ihres Glücks werden. Denn selbst das vermeintliche Glück angenehmen Wohlstands allein kann uns Menschen nicht wahres Glück bringen. „Um uns selbst müssen wir uns schon selber kümmern!“ Und nichts gewährt dem Menschen größeres Glück, als nach seinen Kräften, an einer, Gemeinwohl orientierten, humanistischen Gesellschaft mitzuwirken. Ich weiß, wovon ich rede, weil ich es täglich erlebe.
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