Gespräch eines Schiffspredigers mit dem Tahitianer Q r o u (gekürzt)
(Aus Diderot „Nachtrag zu Bourgainvilles Reise“)
Als die Tahitier Bourgainvilles Schiffsmannschaft unter sich aufteilten, kam der Schiffsgeistliche zu Orou.
Der Prediger und der Tahitianer waren ungefähr im gleichen Alter von 35 Jahren. Orou lebte derzeit nur mit seiner Frau und drei Töchtern zusammen. Sie kleideten ihn aus, wuschen ihm das Gesicht, die Hände und Füße und setzten ihm ein gesundes schlichtes Mahl vor. Als es Schlafenszeit war, bot ihm Orou seine Frau und seine Töchter an, die alle nackt waren, und sagte zu ihm: „Du hast gegessen, du bist jung und gesund; allein schläfst du schlecht; der Mann braucht zur Nacht eine Gefährtin. Sieh hier meine Frau und meine drei Töchter: Wähle, welche dir gefällt; wenn du mich aber verpflichten wolltest, gäbst du meiner jüngsten Tochter den Vorzug, denn sie hat noch keine Kinder geboren.“ Der Geistliche antwortete, seine Religion, sein Stand, die guten Sitten und die Ehrbarkeit erlaubten ihm nicht, dieses Anerbieten anzunehmen. – „Ich weiß nicht, was für ein Ding das ist, das du Religion nennst; aber ich kann kaum davon Gutes denken, wenn es dir verwehrt, eine unschuldige Freude zu genießen, zu der Natur, die große Mutter, uns alle einlädt; wenn es dir verbietet, ein Geschöpf nach deinem Bilde ins Leben zu setzen; einen Dienst zu erweisen, um welchen der Vater, die Mutter, die Kinder dich ersuchen; deinem Gastgeber den guten Empfang zu vergelten, den er dir bereitet hat, und ein Volk zu bereichern, indem du es um ein Mitglied vermehrst.“
Der Prediger: „Deine Frau und deine Töchter sind alle gleich schön, aber meine Religion! und mein Stand!“
Orou: „Welche Reinheit des Gewissens das Ding Religion und das Ding Stand dir auch gebieten mögen, du darfst sie ohne Bedenken nehmen. Ich missbrauche meine Autorität durchaus nicht, und du darfst sicher glauben, dass ich die Rechte des einzelnen Menschen kenne und achte.“
Thia, die jüngste, umschlang seine Knie und sagte: „Fremder, betrübe meinen Vater und meine Mutter und mich nicht! Ehre mich in unserer Hütte, mach mir ein Kind, auf das ich stolz sein darf und das Teil meiner Mitgift werden wird. Wenn du mir diese Gunst erweist, werde ich dich niemals vergessen.“ – „Aber meine Religion, mein Stand!" jammerte er noch, doch am Morgen fand er sich an der Seite des Mädchens wieder, das ihn mit Zärtlichkeiten überhäufte und ihre Dankbarkeit bezeugte...
Orou fragte den Prediger: „Was bedeutet die lange Kutte, die dich von Kopf bis Fuß umhüllt?“ -
Der Priester: „Das ist so, weil ich mich einer Gemeinschaft von Männern verschworen habe. Das heiligste ihrer Gelübde ist, sich niemals einer Frau zu nahen und keine Kinder zu zeugen.“ – „Bleiben die Mönche dem Gelübde der Unfruchtbarkeit treu?“ Prediger: „Nein „.- Orou: „Das d a c h t ich mir!“
Orou: „Habt ihr auch w e i b l i c h e Mönche?“
Der Prediger: „Ja.“ – „Ebenso keusch wie die männlichen Mönche?“ - Prediger: „Sie leben strenger abgeschlossen, und so dörren sie aus vor Gram und gehen zugrunde vor Sehnsucht.“ – „Oh, schlimmes Land! Wenn dort alles so geordnet ist, wie du sagst, seid ihr barbarischer als wir.“
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