Der kanadische Ökonom Michel
Chosudovsky: Die Westmächte haben seit Beginn der 80er Jahre systematisch
mitgeholfen, die jugoslawische Wirtschaft zu vernichten und daraus resultierende
soziale Probleme sowie ethnische Konflikte anzuheizen. Trotz Belgrads politischer
Neutralität und seiner ausgedehnten Handelsbeziehungen zu den USA und der EU nahm
die Reagan-Administratur die jugoslawische Wirtschaft in der Geheimdirektive
von 1984 (National Security Decision Directive NSDD 133) ins Visier.
(Titel: „Die Politik der USA in Bezug
auf Jugoslawien)
ZIELE: Fortgesetzte Anstrengungen
zur Entfachung von „stillen Revolutionen“,
Überwindung der kommunistischen Regierung,
Herstellung einer Abhängigkeit
Jugoslawiens von IWF, Weltbank und
anderen Institutionen des führenden
Industriestaates des Westens,
strategische kriegerische Intervention des
Westens in Jugoslawien,
Destabilisierung
von 1980 bis 1990, Rekolonialisierung nach 1990.
REALISIERUNG der Geheimdirektive:
Seit Beginn der 80er Jahre
diktierten ausländische Kredite weitreichende „Reformen“, die zur Zerstörung
des industriellen Sektors führten und zugleich das Sozialsystem des Landes
erodieren ließen. Damit wurde nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die
Politik in Jugoslawien chaotisiert. Denn die separatistischen Tendenzen, die
sich auf ethnische und soziale Unterschiede stützten, gewannen während der
Phase brutaler Verarmung unter der jugoslawischen Bevölkerung an Gewicht. Die
makroökonomischen Reformen, die kurz vor dem Tod Marschall Titos im Jahre 1980
begannen, hatten politisch und ökonomisch desaströse Auswirkungen: Langsames
Wirtschaftswachstum, das Anwachsen der Auslandsschulden und insbesondere der Zinsbelastung,
begleitet von Inflation, brachten den Lebensstandard
des durchschnittlichen Jugoslawen zu einem erdrutschartigen Absinken. Die
Wirtschaftskrise bedrohte die politische Stabilität. Sie führte auch zu einer
Verstärkung untergründiger ethnischer Spannungen. (Gervasi 1993). Die Wirtschaftsreform erreichte
ihren Höhepunkt unter der US freundlichen Regierung von Ante Marcovic. Ein
„Finanzhilfsprogramm“ versprach im Austausch dafür drastische Wirtschaftsreformen,
die Einführung einer neuen, abgewerteten Währung, Einfrieren der Löhne,
drastische Kürzung der Staatsausgaben und die Abschaffung der selbst verwalteten
vergesellschafteten Betriebe. Diese „Wirtschaftstherapie“ trug zur Lähmung des
Bundesstaates bei. Vor allem die Umschuldungsverträge der staatlichen und
kommerziellen Kredite führten zu politischen
Spannungen zwischen der Hauptstadt Belgrad und den Teilrepubliken. Steuergelder,
die als Ausgleichszahlungen an die Teilrepubliken und die autonomen Provinzen hätten
gehen sollen, dienten zur Schuldentilgung bei den Pariser und Londoner
Finanzclubs. Die vom IWF induzierte Budgetkrise schuf so in wirtschaftlicher
Hinsicht jene Tatsachen, die den Weg für die formale Abspaltung Kroatiens und Sloweniens
im Juni 1991 frei machten. Die industrielle Strukturreform von 1989 war ein
weiterer Meilenstein auf dem Weg des industriellen Sektors in den Bankrott.
1990 war das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts
um -7,5% gefallen. !991 fiel es um weiter 15%, die industrielle Produktion sank
um 21%. Die Strukturreform, die von Belgrads Kreditoren diktiert worden war,
hatte die Abschaffung der vergesellschafteten Betriebe zum Ziel. Das
Unternehmensgesetz von 1989 verlangte die Abschaffung der Grundstrukturen
gemeinschaftlicher Arbeit, die eine Form vergesellschafteter
Produktionsgemeinschaften unter der Leitung der Betriebsräte darstellten. Das Gesetz
schrieb die Verwandlung dieser Strukturen in privatkapitalistische Unternehmen
vor. Die Betriebsräte sollten durch sog. „Sozialkomitees“ unter der Kontrolle
des Betriebseigners ersetzt werden. (Nebenbei: Sogar die Sprecherin der
Opposition in Jugoslawien ist für gemischte Eigentumsformen, eine gesunde Mischung
von Staatsbetrieben, Genossenschaften, Privatbetrieben usw., doch so weit geht
das Selbstbestimmungsrecht der Völker nach dem Verständnis der USA nicht!)
Die Restrukturierung der
Wirtschaft wurde mit wesentlicher „Unterstützung“ westlicher Rechtsanwälte und
-berater – durch eine Anzahl neuer Gesetze abgesichert. So trat ein neues
Bankengesetz in Kraft, das die Liquidation der gemeinsamen Banken vorsah. Über
die Hälfte aller jugoslawischen Banken wurde geschlossen, der Druck lag
eindeutig auf der Schaffung profitorientierter Institutionen.
Die von IWF und Weltbank gesponserten
Reformen waren ein Bankrottprogramm, die Kredite an die industriellen Sektoren
wurden eingefroren – der Auflösungsprozess damit beschleunigt. Unternehmer
mussten im Falle einer 45 Tage andauernden Zahlungsunfähigkeit innerhalb von 15
Tagen eine Einigung mit ihren Kreditoren erreichen, sonst wurde der Konkurs
eingeleitet.
Da Regierungsinvestitionen durch
das Gesetz verboten wurden, konnten Kreditoren ihre Kredite routinemäßig als Machtmittel
über die zahlungsunfähigen Unternehmen missbrauchen.
Die Deregulierung des
Außenhandelns im Januar 1990 provozierte eine Flut von Warenimporten aus dem
Ausland, die einheimische Produktion wurde destabilisiert. Der mit geliehenen Geldern
getragene Importboom steigerte den Schuldendruck. Die abrupten Anstiege bei Zinsen
und Einkaufspreisen führten gleichzeitig zum Ausschluss einheimischer Produkte
vom innerjugoslawischen Markt. 1989/90 wurden so über 1ooo Unternehmen in den Bankrott
getrieben oder aufgelöst. Mit anderen Worten, die gesetzlichen Regulierungen
führten innerhalb von zwei Jahren über 600 000 Arbeiter zur Arbeitslosigkeit, und das bei einer nur
2,7 Millionen starken industriellen Arbeiterschaft. Die höchste Zahl von
Bankrotten und neuen Arbeitslosen entfiel auf Serbien, Bosnien, Herzegowina,
Mazedonien und den Kosovo,. (Die Weltbank 1991).
Viele vergesellschaftete Betriebe
versuchten den Bankrott zu vermeiden, indem sie
keine Löhne zahlten. Eine halbe
Million Arbeiter erhielt während der ersten Monate von 1990 keinen Lohn, um die
Forderungen der Kreditoren im Rahmen der Übereinkünfte zu erfüllen, wie es das Gesetz
zur Regelung der Finanzwirtschaft vorsah.
All dies verursachte bei der Bevölkerung
eine Atmosphäre der Hoffnungslosigkeit und sozialen Verzweiflung. Die
Oligarchien der Teilrepubliken, die alle von einer „Nationalen Erneuerung“
träumten, hatten die Wahl zwischen Krieg und einem echten jugoslawischen
gemeinsamen Markt plus Hyperinflation. Sie wählten den Krieg. Dieser Krieg
sollte die wahren Ursachen der wirtschaftlichen Katastrophe verbergen.
(Boarov 1992).
Der Ruin eines ganzen Wirtschaftssystems, der
Ausverkauf ganzer Industriezweige, die Gewinnung „neuer Märkte“ und das Gerangel um Einflusssphären auf dem Balkan
sind die wahren Ursachen der Konflikte. Die Reformen und der Krieg in Jugoslawien
sind nur die extremen Spielarten eines destruktiven ökonomischen Modells, das
der Neoliberalismus Ländern der ganzen Welt aufoktroyiert.
Literatur:. Boarov, Dimitrije,
Vreme-Nachrichtendienst Nr. 29 v. 13.4. 1992,
Gervasi, Sean: Deutschland,
die USA und die Krise in Jugoslawien,
Vovert Action
Quarter Nr. 43 Winter 1992/93,
MILS-News 1995:
Mazedonischer Informationsdienst, 11.4.1995
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