Montag, 21. Mai 2012

Wie der Bürgerkrieg in Jugoslawien angeheizt wurde

(Aus „telegraph“  2/99, S. 50ff)
Der kanadische Ökonom Michel Chosudovsky: Die Westmächte haben seit Beginn der 80er Jahre systematisch mitgeholfen, die jugoslawische Wirtschaft zu vernichten und daraus resultierende soziale Probleme sowie ethnische Konflikte anzuheizen. Trotz Belgrads politischer Neutralität und seiner ausgedehnten Handelsbeziehungen zu den USA und der EU nahm die Reagan-Administratur die jugoslawische Wirtschaft in der Geheimdirektive von 1984 (National Security Decision Directive NSDD 133)  ins Visier.
(Titel: „Die Politik der USA in Bezug auf Jugoslawien)
ZIELE: Fortgesetzte Anstrengungen zur Entfachung von „stillen Revolutionen“,
              Überwindung der kommunistischen Regierung,
              Herstellung einer Abhängigkeit Jugoslawiens von IWF, Weltbank und
              anderen Institutionen des führenden Industriestaates des Westens,
              strategische kriegerische Intervention des Westens in Jugoslawien,
              Destabilisierung von 1980 bis 1990, Rekolonialisierung nach 1990.
REALISIERUNG der Geheimdirektive:
Seit Beginn der 80er Jahre diktierten ausländische Kredite weitreichende „Reformen“, die zur Zerstörung des industriellen Sektors führten und zugleich das Sozialsystem des Landes erodieren ließen. Damit wurde nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Politik in Jugoslawien chaotisiert. Denn die separatistischen Tendenzen, die sich auf ethnische und soziale Unterschiede stützten, gewannen während der Phase brutaler Verarmung unter der jugoslawischen Bevölkerung an Gewicht. Die makroökonomischen Reformen, die kurz vor dem Tod Marschall Titos im Jahre 1980 begannen, hatten politisch und ökonomisch desaströse Auswirkungen: Langsames Wirtschaftswachstum, das Anwachsen der Auslandsschulden und insbesondere der Zinsbelastung, begleitet  von Inflation, brachten den Lebensstandard des durchschnittlichen Jugoslawen zu einem erdrutschartigen Absinken. Die Wirtschaftskrise bedrohte die politische Stabilität. Sie führte auch zu einer Verstärkung untergründiger ethnischer Spannungen.  (Gervasi 1993). Die Wirtschaftsreform erreichte ihren Höhepunkt unter der US freundlichen Regierung von Ante Marcovic. Ein „Finanzhilfsprogramm“ versprach im Austausch dafür drastische Wirtschaftsreformen, die Einführung einer neuen, abgewerteten Währung, Einfrieren der Löhne, drastische Kürzung der Staatsausgaben und die Abschaffung der selbst verwalteten vergesellschafteten Betriebe. Diese „Wirtschaftstherapie“ trug zur Lähmung des Bundesstaates bei. Vor allem die Umschuldungsverträge der staatlichen und kommerziellen Kredite führten  zu politischen Spannungen zwischen der Hauptstadt Belgrad und den Teilrepubliken. Steuergelder, die als Ausgleichszahlungen an die Teilrepubliken und die autonomen Provinzen hätten gehen sollen, dienten zur Schuldentilgung bei den Pariser und Londoner Finanzclubs. Die vom IWF induzierte Budgetkrise schuf so in wirtschaftlicher Hinsicht jene Tatsachen, die den Weg für die formale Abspaltung Kroatiens und Sloweniens im Juni 1991 frei machten. Die industrielle Strukturreform von 1989 war ein weiterer Meilenstein auf dem Weg des industriellen Sektors in den Bankrott.
1990 war das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts um -7,5% gefallen. !991 fiel es um weiter 15%, die industrielle Produktion sank um 21%. Die Strukturreform, die von Belgrads Kreditoren diktiert worden war, hatte die Abschaffung der vergesellschafteten Betriebe zum Ziel. Das Unternehmensgesetz von 1989 verlangte die Abschaffung der Grundstrukturen gemeinschaftlicher Arbeit, die eine Form vergesellschafteter Produktionsgemeinschaften unter der Leitung der Betriebsräte darstellten. Das Gesetz schrieb die Verwandlung dieser Strukturen in privatkapitalistische Unternehmen vor. Die Betriebsräte sollten durch sog. „Sozialkomitees“ unter der Kontrolle des Betriebseigners ersetzt werden. (Nebenbei: Sogar die Sprecherin der Opposition in Jugoslawien ist für gemischte Eigentumsformen, eine gesunde Mischung von Staatsbetrieben, Genossenschaften, Privatbetrieben usw., doch so weit geht das Selbstbestimmungsrecht der Völker nach dem Verständnis der USA nicht!)
Die Restrukturierung der Wirtschaft wurde mit wesentlicher „Unterstützung“ westlicher Rechtsanwälte und -berater – durch eine Anzahl neuer Gesetze abgesichert. So trat ein neues Bankengesetz in Kraft, das die Liquidation der gemeinsamen Banken vorsah. Über die Hälfte aller jugoslawischen Banken wurde geschlossen, der Druck lag eindeutig auf der Schaffung profitorientierter Institutionen.
Die von IWF und Weltbank gesponserten Reformen waren ein Bankrottprogramm, die Kredite an die industriellen Sektoren wurden eingefroren – der Auflösungsprozess damit beschleunigt. Unternehmer mussten im Falle einer 45 Tage andauernden Zahlungsunfähigkeit innerhalb von 15 Tagen eine Einigung mit ihren Kreditoren erreichen, sonst wurde der Konkurs eingeleitet.
Da Regierungsinvestitionen durch das Gesetz verboten wurden, konnten Kreditoren ihre Kredite routinemäßig als Machtmittel über die zahlungsunfähigen Unternehmen missbrauchen.
Die Deregulierung des Außenhandelns im Januar 1990 provozierte eine Flut von Warenimporten aus dem Ausland, die einheimische Produktion wurde destabilisiert. Der mit geliehenen Geldern getragene Importboom steigerte den Schuldendruck. Die abrupten Anstiege bei Zinsen und Einkaufspreisen führten gleichzeitig zum Ausschluss einheimischer Produkte vom innerjugoslawischen Markt. 1989/90 wurden so über 1ooo Unternehmen in den Bankrott getrieben oder aufgelöst. Mit anderen Worten, die gesetzlichen Regulierungen führten innerhalb von zwei Jahren über 600 000 Arbeiter  zur Arbeitslosigkeit, und das bei einer nur 2,7 Millionen starken industriellen Arbeiterschaft. Die höchste Zahl von Bankrotten und neuen Arbeitslosen entfiel auf Serbien, Bosnien, Herzegowina, Mazedonien und den Kosovo,. (Die Weltbank 1991).
Viele vergesellschaftete Betriebe versuchten den Bankrott zu vermeiden, indem sie
keine Löhne zahlten. Eine halbe Million Arbeiter erhielt während der ersten Monate von 1990 keinen Lohn, um die Forderungen der Kreditoren im Rahmen der Übereinkünfte zu erfüllen, wie es das Gesetz zur Regelung der Finanzwirtschaft vorsah.
All dies verursachte bei der Bevölkerung eine Atmosphäre der Hoffnungslosigkeit und sozialen Verzweiflung. Die Oligarchien der Teilrepubliken, die alle von einer „Nationalen Erneuerung“ träumten, hatten die Wahl zwischen Krieg und einem echten jugoslawischen gemeinsamen Markt plus Hyperinflation. Sie wählten den Krieg. Dieser Krieg sollte die wahren Ursachen der wirtschaftlichen Katastrophe verbergen.
(Boarov 1992).
Der Ruin  eines ganzen Wirtschaftssystems, der Ausverkauf ganzer Industriezweige, die Gewinnung „neuer Märkte“ und das  Gerangel um Einflusssphären auf dem Balkan sind die wahren Ursachen der Konflikte. Die Reformen und der Krieg in Jugoslawien sind nur die extremen Spielarten eines destruktiven ökonomischen Modells, das der Neoliberalismus Ländern der ganzen Welt aufoktroyiert.
Literatur:. Boarov, Dimitrije, Vreme-Nachrichtendienst Nr. 29 v. 13.4. 1992,
                    Gervasi, Sean: Deutschland, die USA und die Krise in Jugoslawien,
                              Vovert Action Quarter Nr. 43 Winter 1992/93,
                    MILS-News 1995: Mazedonischer Informationsdienst, 11.4.1995
Günter Rahm, Quedlinburg, 3.1.12)

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